Aus für die Kernkraft: Wiege der Querdenker

Dr Marius Sdl
4 min readDec 31, 2021

Deutschland schaltet am Freitag etwa 3GW an gesicherter Leistung ab. Und plant gleichzeitig eine Gasbrücke mit mehreren neuen Gaskraftwerken und der Inbetriebnahme der Nord Stream 2 Pipeline. Diese Entscheidung kommt zu einer Zeit mit extrem hohen Energiepreisen. Welchen Eindruck sollen ärmere Länder davon haben, die unter Energiearmut und teilweise unter rollierenden Blackouts leiden? Warum sollten diese Länder Klimaschutz ernst nehmen, oder die Dringlichkeit akzeptieren, wenn ein reiches Land wie Deutschland eine fast CO2 freie Energiequelle zunächst durch eine Gasbrücke ersetzt?

Ja, es gibt mutige Pläne bis 2030 etwa 80% der Stromerzeugung durch Erneuerbare zu erbringen. Aber heute etwas abzuschalten, ohne dafür unmittelbar Ersatz zu haben und nur die Hoffnung zu geben, es in etwa 10 Jahren durch etwas Besseres ersetzen zu können, ist wie eine nackte Wette auf die Zukunft. Es gibt keinen doppelten Boden, keine Rückversicherung. Es ist wie eine Martingale Wettstrategie.

Ebenso wie in den Finanzmärkten gibt es Liquidität und Solvenz auch bei der Stromerzeugung. Die konventionellen Versorger sind bis heute das Rückgrat der Liquidität. Während einer Dunkelflaute muss fast der gesamte Strombedarf von ihnen gedeckt werden. Langfristig ist die Solvenz des Stromnetzes wahrscheinlich gegeben, wenn alle die fantastischen Pläne einmal Wirklichkeit werden. Aber viele Projekte sind auch schon an Liquiditätsengpässen zugrunde gegangen. Ich erinnere mich noch gut an die Aufregung vor dem 1sten Jan. 2000, als wir den Jahr-2000-Bug fürchteten. Auch schon damals war es eine Herausforderung die Netzstabilität nach einem potenziellen, großflächigen Ausfall wiederherzustellen. Ich frage mich, wie das heute noch möglich wäre, nachdem viele konventionelle Versorger abgeschaltet wurden.

Unser Wirtschaftsminister versichert: alles im Griff, Sicherheit der Stromversorgung ist gewährleistet. Haben wir solche Sprüche nicht auch schon zu Beginn der COVID Pandemie gehört?

Im Zentrum meiner Kritik steht das dilettantische und widersprüchliche Risikomanagement der Bundesregierung. Es wird mit zweierlei Maß gemessen. Zum einen wird in Kauf genommen und gebilligt, dass etwa 100k Menschen durch COVID-19 gestorben sind. Etwa 50 Menschen sind im Zuge der Impfkampagne mit den neuartigen mRNA und Virus-Vektor Vakzinen gestorben. Trotzdem klopft sich die Bundesregierung für ihr Risikomanagement auf die Schulter. Wäre ja in Ordnung.

Aber jetzt der Vergleich: nach mehr als 30 Jahren Betrieb ist kein Mensch in der deutschen Bevölkerung durch radioaktive Strahlung oder einen Störfall gestorben. Millionen Tonnen CO2 wurden vermieden. Das interessiert keinen. Mehr noch, die Bundesregierung hält stur an dem Abschalten der Kernkraftwerke fest. Der Ausstieg aus der Kernkraft wurde im Handumdrehen beschlossen. Wenn ich diesen Maßstab zugrunde lege, dann müssten wir heute schon längst eine strikte No-COVID Strategie fahren.

Dies ist ein krasses Beispiel von dilettantischem Risikomanagement und falscher Risikoeinstufung. Kernkraft abgeschaltet aber an COVID gestorben, sozusagen.

Ab Ende 2022 fehlen insgesamt 6GigaWatt Kernkraft. Für etwa 10 Jahre muss sie durch eine Kohle- und Gasbrücke ersetzt werden. Das verursacht etwa 25GigaTonnen an CO2 Emission. Typische Schätzungen besagen, dass 4kiloTonnen CO2 in den nächsten 80 Jahren etwa 1 zusätzlichen Toten verursachen. Also ist die Gasbrücke für etwa 5Mio zusätzlicher Sterbefälle verantwortlich.

Diese Arroganz macht einfach sprachlos. Kann die Bundesregierung nicht über ihren eigenen Schatten springen, und die Laufzeit noch einmal um 10 Jahre verlängern? Lieber kauft sie mit Kohlestrom erzeugte Solaranlagen aus Asien. Da dreht sich einem der Magen um.

Verzweifelt versucht die Bundesregierung ihr Verhalten zu erklären:

Kernkraft verursacht „große“ Entsorgungskosten. Wieder so ein Beispiel für Maß mit zwei Maßstäben. Dann muss man auch die anderen Kosten von über 100 Jahren CO2 Emission von Gas und Kohle betrachten und vergleichen. Und die Vermeidung von CO2 Emissionen durch die Kernkraft kreditieren. Darüber will keiner reden. Ganz zu schweigen davon, dass die Kernkraft absichtlich politisch verbrannt worden ist. Es wurden himmelhohe Sicherheitsanforderungen geschaffen, die im Vergleich zu den Anforderungen an die Pandemiebekämpfung nicht zu rechtfertigen sind. Ich kann nicht paranoid in der Kernkraft um hohe Sicherheitsanforderungen kämpfen, aber gleichzeitig die Ausbreitung von Sars-Cov-2 zulassen. Ich muss dort streng sein, wo wirklich Gefahr droht und wo mein Einsatz zur Risikominimierung auch einen praktischen Nutzen hat.

Abgebrannte Brennelemente sind „gefährlich“. Was ist jetzt gefährlicher: der Klimawandel oder ein Lager für abgebrannte Brennelemente? Es gibt nichts ohne Risiko, und wir müssen Prioritäten setzen. Die CO2 Emissionen aus deutschen Kaminen verbreiten sich über die ganze Welt. Abgebrannte Brennelemente sind leicht vor Ort zu kontrollieren.

Die „Bedrohung“ der Energiewende. Kernkraft verhindert angeblich den Transit zu erneuerbaren Energien. Die Kraftwerke seien nicht lastfolgefähig. Die Kraftwerke wurden als Grundlastversorger konzipiert und mit entsprechenden Nachrüstungen können sie wunderbar den Schwankungen der Netzeinspeisung aus Sonne und Wind folgen.

Summa summarum: wenn es um die Kernkraft geht, dann ist die Bundesregierung so dickköpfig wie die Querdenker.

P.S. Mich würde nicht überraschen, wenn die Corona-Querdenker auch teilweise aus der Anti-Kernkraftbewegung stammen. Bei COVID heißt es: liebe Bevölkerung, seid doch mal rational! Die Impfung ist soundso-viel-mal gutgegangen und der Nutzen überwiegt deutlich das Risiko. Aber die Querdenker wollen nicht. Bei der Kernkraft ist es genau anders herum: schaut mal her, in den deutschen Kraftwerken ist noch nie jemand zu Schaden gekommen, insbesondere in Anbetracht des Klimawandels überwiegt der Nutzen deutlich das Risiko. Aber Nein! In diesem Fall nährt und fördert die Bundesregierung das Querdenken, suggeriert, dass ein Kernkraftwerk wie eine Atomwaffe explodieren könnte. Und verschweigt im gleichen Atemzug, dass die US-Streitkräfte tatsächlich in Deutschland Atomwaffen lagern. Diese Risikoeinschätzung ist einfach pervers.

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